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". . . genau jene werden am meisten bestraft"
SVP Wirtschaft |
07.08.2018
2018-08-7
Interview im Erker:
„...genau jene werden am meisten bestraft“
Im Gespräch mit SVP-Wirtschafts-Vorsitzendem Josef Tschöll
Erker: Herr Tschöll, Sie haben sich in der SVP-Parteileitung im Vorfeld der Vertrauensabstimmung über die neue Regierung als einziger gegen eine Enthaltung der SVP-Parlamentarier ausgesprochen. Sie sind der Ansicht, dass die neue M5S-Lega-Regierung den Staat noch mehr in die Krise stürzt.
Josef Tschöll: Ich habe diese beiden Parteien über die Jahre genau beobachtet und bin zu diesem Schluss gekommen. Meine Überlegungen waren jedoch, neben den Bedenken für die Wirtschaftspolitik, die jetzt eingeschlagen wird, auch andere. Ich sehe derzeit in Italien mit diesen politischen Kräften sehr starke Parallelen zur Weimarer Republik. Neben der zurückgekehrten politischen Instabilität gibt es einen gemeinsamen Feind, nämlich die EU-Verträge (früher war es der Versailler-Vertrag). Wir kommen aus einer schweren Wirtschaftskrise, die gleich wie vor über 80 Jahren die ärmeren und schwächeren Gesellschaftsschichten stark getroffen hat; was fehlt, ist nur die Hyperinflation, aber die kommt mit einem Euro-Austritt Italiens. Es findet eine Hetze gegen schwache oder bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft statt; die Autorität des Staates und seiner Vertreter wird nicht mehr anerkannt (die Studienabbrecher Di Maio und Salvini wollten dem Staatspräsidenten und früheren Verfassungsrichter Mattarella die Verfassung erklären und ein Amtsenthebungsverfahren einleiten – das erinnert mich an einen Weltkriegsgefreiten, der für den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nur Verachtung übrig hatte und die Demokratie lediglich für seine Zwecke genutzt hat, um dann seine Diktatur zu etablieren. Die EU, als Friedensprojekt geschaffen, durchlebt zurzeit eine schwere Krise und es fehlt der stabilisierende Faktor. Grillini und Lega haben vor einigen Jahren nur einen geringen Prozentsatz an Wählerstimmen auf sich vereinen können. Auch in der Weimarer Republik hat man anfänglich über die NSDAP gelächelt, wohin es geführt hat, ist bekannt. Als überzeugter Demokrat sage ich, wir müssen gegen diese Kräfte aufstehen und uns nicht wegducken.
Hat die Regierung ihren Wählern also lediglich das Blaue vom Himmel versprochen?
In wirtschaftspolitischer Hinsicht bin ich überzeugt, dass die gemachten Versprechen nicht eingehalten werden können. Wer glaubt, dass alte Schulden nicht bezahlt werden müssen und die neuen Schulden alt werden, wird sich täuschen.
In Ihren Augen ist die neue Regierung wirtschaftspolitisch eine „Katastrophe“. Warum?
Da gibt es mehrere Punkte, über die wir uns ernsthaft Sorgen machen müssen. Zum einen wird es wohl dazu kommen, dass Italien erneut mehr Schulden machen wird. Die Folgen werden vielfältig sein, aber die Gläubiger werden vor allem die Rückzahlungsfähigkeit Italiens neu bewerten und dort gehe ich davon aus, dass die Zinsen steigen und den Haushalt stark belasten werden. Alle Indikatoren sagen für Italien ein merklich schwächeres Wirtschaftswachstum für heuer und das nächste Jahr voraus, dadurch verliert der Staat Einnahmen und die zuletzt sinkende Zahl der Arbeitslosen wird weiterhin hoch bleiben oder wieder steigen. Dieses Abflachen hat auch mit der politischen Instabilität und Unsicherheit zu tun, denn wer investieren möchte, wartet ab oder geht irgendwo anders hin. Unklar ist, was in Italien mit den großen Infrastrukturprojekten passiert. Die Grillini möchten diese ja stoppen, damit würde aber die Wettbewerbsfähigkeit Italiens im internationalen Vergleich weiter sinken. Nach Angaben der Banca d’Italia muss die italienische Wirtschaft bereits jetzt jährlich dafür insgesamt rund 200 Mrilliarden Euro an Mehrkosten tragen. Wer wie die Grillini konkret das Ilva-Stahlwerk mit direkt und indirekt rund 30.000 Beschäftigten in Süditalien schließen will, betreibt eine Politik der Deindustrialisierung. Dieselben Kräfte möchten ja auch wieder die Alitalia verstaatlichen. Bereits vor Monaten habe ich vor einer Gegenreform im Arbeitsrecht gewarnt. Das jetzt verabschiedete „Würde-Dekret“ ist in dieser Form wohl eher ein unwürdiges Beispiel dafür, wie die Beschäftigungszahlen sinken und die Leute, insbesondere im Süden, in der Schwarzarbeit enden werden. Anstatt den Unternehmen Wertschätzung dafür entgegenzubringen, dass sie investieren, Mitarbeiter beschäftigen, Steuern bezahlen und sich täglich im Wettbewerb behaupten müssen, wird ganz gezielt die Kultur des Verdachts genährt und sie werden als Ausbeuter, Steuerhinterzieher und Umweltsünder dargestellt. Auch die Gegenreform für Frühpensionierungen und das Mindesteinkommen werden, sofern sie auch nur teilweise umgesetzt werden, die Staatsschulden weiter steigen lassen und eine schwere Last für unsere Jugend sein.
Stichwort Flat Tax. Ist eine solche Steuer überhaupt verfassungskonform? Zu mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit führt sie sicher nicht.
Der Artikel 53 der Verfassung besagt, dass die Besteuerung progressiv zu erfolgen hat. Bei einer sogenannten Flat Tax wäre das sicher nicht der Fall, daher möchten die politisch Verantwortlichen jetzt auf ein System mit zwei Steuersätzen übergehen und wiederum Absetzbeträge für die tiefere Einkommensschicht beibehalten. Allemal ist aber auch ein solches System sehr vorteilhaft für Besserverdienende.
Sie sind also der Meinung, dass die geplante Flat Tax am Ende lediglich die untersten Einkommensschichten bestraft?
Derzeit sind die einkommensschwachen Steuerpflichtigen durch die Absetzbeträge und den Renzi-Bonus nicht übermäßig stark belastet. Wird morgen eine Flat Tax eingeführt, müssten sie natürlich mehr Steuern bezahlen als bisher, denn diese Ausgleichsmechanismen würden wegfallen. Diesen Schwachpunkt haben die Techniker bereits ausgemacht und es wird schon wieder zurückgerudert, denn die Absetzbeträge sollen bleiben, auch um die Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten. Das Ganze kostet ersten Schätzungen zufolge rund 50 Milliarden Euro jährlich. Ob Italien das Geld hat, das zu finanzieren, ist fraglich. Wird es umgesetzt, müsste wohl die Mehrwertsteuer erhöht werden und diese trifft vor allem die untersten Einkommensschichten. Wer die Geschichte ansieht, wird erkennen, dass genau jene, welche die Populisten gewählt haben, von diesen am meisten bestraft werden.
Durch steuerliche Entlastungen erhofft sich die Regierung jedenfalls eine Ankurbelung des Konsums und der Wirtschaft. Sehen Sie das nicht so?
Die Einkommensschwachen werden dadurch nicht recht viel mehr Geld zur Verfügung haben und jemand mit einem hohen Einkommen wird nicht im selben Ausmaß, wie er Steuern spart, mehr ausgeben. Im Gegenteil, Besserverdiener werden einen Großteil der gesparten Steuern nicht ausgeben, sondern zurücklegen und damit noch vermögender werden. Sollte auch noch die Mehrwertsteuer erhöht werden, um dieses Vorhaben zu finanzieren, wird es wohl kaum ein Ansteigen des Konsums geben.
Die 5-Sterne-Bewegung hat ihren Wählern immer wieder ein bedingtes Grundeinkommen versprochen. Der propagierte „reddito di cittadinanza“ in Höhe von rund 780 Euro dürfte kaum finanzierbar sein.
Es gibt hier zwei Schätzungen. Jene der Grillini, die Kosten von 15 Milliarden Euro anführt, und jene des INPS, die mit rund 35 Milliarden Euro rechnet. Italien kann das nur über neue Schulden finanzieren. Ob das möglich ist, lasse ich dahingestellt. Die Grillini haben übrigens in ihrem Vorschlag auch die Finanzierung erläutert. Wer dort genauer hinschaut, erkennt, dass diese geradezu abenteuerlich ist. Auch der monatliche Betrag ist in etwa doppelt so hoch wie jener für Hartz-IV-Empfänger in Deutschland und berücksichtigt nicht, dass die Lebenshaltungskosten in Süditalien wesentlich tiefer als jene im Norden sind.
Zumindest eine Light-Version werden die Pentastellati aber auf den Weg bringen müssen, wollen sie ihre Wähler bei Laune halten.
Derzeit haben sie sich etwas Zeit genommen und verweisen auf eine Umsetzung während der Legislatur. Zentraler Punkt sollen dabei die öffentlichen Arbeitsämter werden und dafür sollen 2,1 Milliarden Euro bereits 2019 zur Verfügung gestellt werden. Vereinfacht gesagt: Diese öffentlichen Ämter sollen dafür sorgen, dass die Arbeitssuchenden eine Arbeit vermittelt erhalten und das Mindesteinkommen gestrichen wird, wenn sie öfter als dreimal ein solches ablehnen. Die Maßnahme ist ja vor allem auf den Mezzogiorno zugeschnitten. Gerade dort funktionieren diese Ämter nicht und italienweit werden derzeit knapp drei Prozent der Neuanstellungen über die Arbeitsämter vermittelt. Wer glaubt, er könne da so ganz einfach mit etwas Geld den Schalter umlegen und jemand erhält in Süditalien drei Arbeitsangebote, ist, um es nett zu sagen, einfach nur blauäugig. Es wird genau das passieren, wovor ich mehrfach gewarnt habe: Das Mindesteinkommen wird kassiert und die Betroffenen gehen schwarzarbeiten.
Die neue Regierung möchte auch die Leibrenten für Politiker abschaffen und Renten über 5.000 Euro drastisch kürzen. Kann das gelingen? Es wird wohl auf einen langwierigen Rechtsstreit um erworbene Rechte hinauslaufen. Erste Widerstände machen sich bereits breit.
Auch dieses Vorhaben scheint konkret und ist natürlich populär, denn es richtet sich gegen eine kleine Anzahl von Personen, welche die öffentliche Meinung gegen sich haben. Alle Experten äußern aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit, denn wenn jemand eine hohe Rente bezieht, hat er auch hohe Rentenbeiträge einbezahlt. Daher kann ihm diese Leistung nicht einfach aberkannt oder gekürzt werden. Glaubhaft wäre es, wenn die Grillini auch die Babyrenten abschaffen würden, davon spricht aber niemand. Diese haben Italien rund 200 Milliarden Euro gekostet und damit knapp ein Zehntel der gesamten Staatsschulden. Die Politikerrenten sind ein Trinkgeld dagegen. Aber was will man erwarten von einer Partei wie der Lega, die jetzt verurteilt wurde, 49 Millionen Euro an veruntreuten Geldern zurückzuerstatten und den Grillini, die selbst in Rom von einem Korruptionsskandal betroffen sind und es nicht einmal schaffen, die Löcher in den Straßen zu flicken.
Rückgängig gemacht werden soll auch die Fornero-Reform, derzufolge 2011 das Rentenalter um bis zu sechs Jahre angehoben wurde. Kann der Staat es sich finanziell überhaupt leisten, das Renten-Eintrittsalter wieder zu senken?
Diese Pensionsreform wurde gemacht, um Italien vor dem Staatsbankrott zu retten. Das Vorhaben wurde zuletzt ja wieder stark abgeschwächt und eine Vorverlegung des Rentenantritts wäre mit Abschlägen verbunden. Die jährlichen Mehrkosten dafür würden sich auf rund fünf Milliarden Euro belaufen. Aber wie dem auch sei, bezahlen müssten diese Segnungen morgen wieder unsere Kinder; ich habe ein solches Rentensystem ja ganz offen als Betrug an der Jugend bezeichnet.
In der Flüchtlingsfrage hat Innenminister Matteo Salvini die europäischen Staaten in den vergangenen Tagen und Wochen vor sich hergetrieben. Die Lega befindet sich im Aufwind. Nicht nur in Italien, europaweit ist derzeit ein Rechtsruck spürbar. Wurde Italien in dieser Frage von den EU-Partnerländern zu lange allein gelassen?
Die Fehler wurden bereits früher gemacht. Der „arabische Frühling“ war nichts anderes als das Öffnen der Büchse der Pandora. In erster Linie für die betroffenen Länder, wo sich die Dinge zum Schlechteren gewendet haben, und in zweiter Linie für Europa. Gerade Frankreich und Großbritannien haben den Umsturz in Libyen und die Anarchie dort verschuldet. Die unbegrenzte Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen und die Uneinigkeit der EU-Länder waren die Folge und haben die Rechtsparteien gestärkt. So kann es sicher nicht weitergehen. Übrigens war es der frühere Innenminister Minniti, dem es als erstem gelungen ist, die Boote zu stoppen, und nicht Salvini.
Sind sie nach wie vor der Meinung, dass die neue Regierung die vorangegangenen Reformbemühungen zunichte macht, wenn sie ihre Pläne auch nur ansatzweise umsetzt?
Italien hat in den letzten fünf Jahren Reformen gemacht und ist wieder auf Wachstumskurs gekommen. Die Gegenreformen von Grillini und Lega werden aus meiner Sicht wieder zu einer Verschlechterung der Situation führen und noch ausständige Reformen, wie jene der Justiz, werden gar nicht angegangen. Den Trend dann wieder umzukehren, ist äußerst schwierig.
Ein erster Gradmesser für die neue Regierung wird sein, ob es ihr gelingt, die drohende Mehrwertsteuererhöhung abzuwenden.
Die Absicht besteht, es gibt aber vereinzelt Stimmen, dass eine Erhöhung nicht weiter schlimm wäre. Bereits jetzt wird gerätselt, wie die fehlenden zehn Milliarden Euro für 2019 aufgetrieben werden können. Glaubt man aber den Wortmeldungen einzelner Minister, so scheint es wohl, dass mehr Schulden gemacht werden sollen und mit der EU darüber hart verhandelt wird. In der Flüchtlingsfrage hatten sie ja schon Erfolg.
Zu Südtirol: Wird die SVP nach den Landtagswahlen im Herbst mit der Lega regieren (müssen)?
Ich glaube, die SVP hat Südtirol sehr gut regiert. Sie hat das beste Programm und die besten Kandidaten, daher sollten die Südtiroler in solch schwierigen Zeiten in erster Linie zusammenhalten und die SVP bei den Landtagswahlen mit der absoluten Mehrheit ausstatten. Das ermöglicht es uns Südtirolern immer, aus einer Position der Stärke heraus handeln zu können. Vergessen wir nicht, dass wir in Italien derzeit vor allem als Privilegierte angesehen werden und nicht als sprachliche Minderheit in einem Nationalstaat, die eine Sonderautonomie hat. Wer der italienische Koalitionspartner ist, hängt wohl in erster Linie vom Wahlergebnis ab und davon, welche konkrete Einstellung er zur Autonomie hat.
Eine letzte Frage: Wie lange wird die neue Regierung Ihrer Meinung nach halten?
Meiner Einschätzung nach wird Salvini den Stecker ziehen, wenn die Umfragewerte der Lega bei 40 Prozent liegen und er die Möglichkeit sieht, allein zu regieren.
„...genau jene werden am meisten bestraft“
Im Gespräch mit SVP-Wirtschafts-Vorsitzendem Josef Tschöll
Erker: Herr Tschöll, Sie haben sich in der SVP-Parteileitung im Vorfeld der Vertrauensabstimmung über die neue Regierung als einziger gegen eine Enthaltung der SVP-Parlamentarier ausgesprochen. Sie sind der Ansicht, dass die neue M5S-Lega-Regierung den Staat noch mehr in die Krise stürzt.
Josef Tschöll: Ich habe diese beiden Parteien über die Jahre genau beobachtet und bin zu diesem Schluss gekommen. Meine Überlegungen waren jedoch, neben den Bedenken für die Wirtschaftspolitik, die jetzt eingeschlagen wird, auch andere. Ich sehe derzeit in Italien mit diesen politischen Kräften sehr starke Parallelen zur Weimarer Republik. Neben der zurückgekehrten politischen Instabilität gibt es einen gemeinsamen Feind, nämlich die EU-Verträge (früher war es der Versailler-Vertrag). Wir kommen aus einer schweren Wirtschaftskrise, die gleich wie vor über 80 Jahren die ärmeren und schwächeren Gesellschaftsschichten stark getroffen hat; was fehlt, ist nur die Hyperinflation, aber die kommt mit einem Euro-Austritt Italiens. Es findet eine Hetze gegen schwache oder bestimmte Gruppen in unserer Gesellschaft statt; die Autorität des Staates und seiner Vertreter wird nicht mehr anerkannt (die Studienabbrecher Di Maio und Salvini wollten dem Staatspräsidenten und früheren Verfassungsrichter Mattarella die Verfassung erklären und ein Amtsenthebungsverfahren einleiten – das erinnert mich an einen Weltkriegsgefreiten, der für den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg nur Verachtung übrig hatte und die Demokratie lediglich für seine Zwecke genutzt hat, um dann seine Diktatur zu etablieren. Die EU, als Friedensprojekt geschaffen, durchlebt zurzeit eine schwere Krise und es fehlt der stabilisierende Faktor. Grillini und Lega haben vor einigen Jahren nur einen geringen Prozentsatz an Wählerstimmen auf sich vereinen können. Auch in der Weimarer Republik hat man anfänglich über die NSDAP gelächelt, wohin es geführt hat, ist bekannt. Als überzeugter Demokrat sage ich, wir müssen gegen diese Kräfte aufstehen und uns nicht wegducken.
Hat die Regierung ihren Wählern also lediglich das Blaue vom Himmel versprochen?
In wirtschaftspolitischer Hinsicht bin ich überzeugt, dass die gemachten Versprechen nicht eingehalten werden können. Wer glaubt, dass alte Schulden nicht bezahlt werden müssen und die neuen Schulden alt werden, wird sich täuschen.
In Ihren Augen ist die neue Regierung wirtschaftspolitisch eine „Katastrophe“. Warum?
Da gibt es mehrere Punkte, über die wir uns ernsthaft Sorgen machen müssen. Zum einen wird es wohl dazu kommen, dass Italien erneut mehr Schulden machen wird. Die Folgen werden vielfältig sein, aber die Gläubiger werden vor allem die Rückzahlungsfähigkeit Italiens neu bewerten und dort gehe ich davon aus, dass die Zinsen steigen und den Haushalt stark belasten werden. Alle Indikatoren sagen für Italien ein merklich schwächeres Wirtschaftswachstum für heuer und das nächste Jahr voraus, dadurch verliert der Staat Einnahmen und die zuletzt sinkende Zahl der Arbeitslosen wird weiterhin hoch bleiben oder wieder steigen. Dieses Abflachen hat auch mit der politischen Instabilität und Unsicherheit zu tun, denn wer investieren möchte, wartet ab oder geht irgendwo anders hin. Unklar ist, was in Italien mit den großen Infrastrukturprojekten passiert. Die Grillini möchten diese ja stoppen, damit würde aber die Wettbewerbsfähigkeit Italiens im internationalen Vergleich weiter sinken. Nach Angaben der Banca d’Italia muss die italienische Wirtschaft bereits jetzt jährlich dafür insgesamt rund 200 Mrilliarden Euro an Mehrkosten tragen. Wer wie die Grillini konkret das Ilva-Stahlwerk mit direkt und indirekt rund 30.000 Beschäftigten in Süditalien schließen will, betreibt eine Politik der Deindustrialisierung. Dieselben Kräfte möchten ja auch wieder die Alitalia verstaatlichen. Bereits vor Monaten habe ich vor einer Gegenreform im Arbeitsrecht gewarnt. Das jetzt verabschiedete „Würde-Dekret“ ist in dieser Form wohl eher ein unwürdiges Beispiel dafür, wie die Beschäftigungszahlen sinken und die Leute, insbesondere im Süden, in der Schwarzarbeit enden werden. Anstatt den Unternehmen Wertschätzung dafür entgegenzubringen, dass sie investieren, Mitarbeiter beschäftigen, Steuern bezahlen und sich täglich im Wettbewerb behaupten müssen, wird ganz gezielt die Kultur des Verdachts genährt und sie werden als Ausbeuter, Steuerhinterzieher und Umweltsünder dargestellt. Auch die Gegenreform für Frühpensionierungen und das Mindesteinkommen werden, sofern sie auch nur teilweise umgesetzt werden, die Staatsschulden weiter steigen lassen und eine schwere Last für unsere Jugend sein.
Stichwort Flat Tax. Ist eine solche Steuer überhaupt verfassungskonform? Zu mehr Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit führt sie sicher nicht.
Der Artikel 53 der Verfassung besagt, dass die Besteuerung progressiv zu erfolgen hat. Bei einer sogenannten Flat Tax wäre das sicher nicht der Fall, daher möchten die politisch Verantwortlichen jetzt auf ein System mit zwei Steuersätzen übergehen und wiederum Absetzbeträge für die tiefere Einkommensschicht beibehalten. Allemal ist aber auch ein solches System sehr vorteilhaft für Besserverdienende.
Sie sind also der Meinung, dass die geplante Flat Tax am Ende lediglich die untersten Einkommensschichten bestraft?
Derzeit sind die einkommensschwachen Steuerpflichtigen durch die Absetzbeträge und den Renzi-Bonus nicht übermäßig stark belastet. Wird morgen eine Flat Tax eingeführt, müssten sie natürlich mehr Steuern bezahlen als bisher, denn diese Ausgleichsmechanismen würden wegfallen. Diesen Schwachpunkt haben die Techniker bereits ausgemacht und es wird schon wieder zurückgerudert, denn die Absetzbeträge sollen bleiben, auch um die Verfassungsmäßigkeit zu gewährleisten. Das Ganze kostet ersten Schätzungen zufolge rund 50 Milliarden Euro jährlich. Ob Italien das Geld hat, das zu finanzieren, ist fraglich. Wird es umgesetzt, müsste wohl die Mehrwertsteuer erhöht werden und diese trifft vor allem die untersten Einkommensschichten. Wer die Geschichte ansieht, wird erkennen, dass genau jene, welche die Populisten gewählt haben, von diesen am meisten bestraft werden.
Durch steuerliche Entlastungen erhofft sich die Regierung jedenfalls eine Ankurbelung des Konsums und der Wirtschaft. Sehen Sie das nicht so?
Die Einkommensschwachen werden dadurch nicht recht viel mehr Geld zur Verfügung haben und jemand mit einem hohen Einkommen wird nicht im selben Ausmaß, wie er Steuern spart, mehr ausgeben. Im Gegenteil, Besserverdiener werden einen Großteil der gesparten Steuern nicht ausgeben, sondern zurücklegen und damit noch vermögender werden. Sollte auch noch die Mehrwertsteuer erhöht werden, um dieses Vorhaben zu finanzieren, wird es wohl kaum ein Ansteigen des Konsums geben.
Die 5-Sterne-Bewegung hat ihren Wählern immer wieder ein bedingtes Grundeinkommen versprochen. Der propagierte „reddito di cittadinanza“ in Höhe von rund 780 Euro dürfte kaum finanzierbar sein.
Es gibt hier zwei Schätzungen. Jene der Grillini, die Kosten von 15 Milliarden Euro anführt, und jene des INPS, die mit rund 35 Milliarden Euro rechnet. Italien kann das nur über neue Schulden finanzieren. Ob das möglich ist, lasse ich dahingestellt. Die Grillini haben übrigens in ihrem Vorschlag auch die Finanzierung erläutert. Wer dort genauer hinschaut, erkennt, dass diese geradezu abenteuerlich ist. Auch der monatliche Betrag ist in etwa doppelt so hoch wie jener für Hartz-IV-Empfänger in Deutschland und berücksichtigt nicht, dass die Lebenshaltungskosten in Süditalien wesentlich tiefer als jene im Norden sind.
Zumindest eine Light-Version werden die Pentastellati aber auf den Weg bringen müssen, wollen sie ihre Wähler bei Laune halten.
Derzeit haben sie sich etwas Zeit genommen und verweisen auf eine Umsetzung während der Legislatur. Zentraler Punkt sollen dabei die öffentlichen Arbeitsämter werden und dafür sollen 2,1 Milliarden Euro bereits 2019 zur Verfügung gestellt werden. Vereinfacht gesagt: Diese öffentlichen Ämter sollen dafür sorgen, dass die Arbeitssuchenden eine Arbeit vermittelt erhalten und das Mindesteinkommen gestrichen wird, wenn sie öfter als dreimal ein solches ablehnen. Die Maßnahme ist ja vor allem auf den Mezzogiorno zugeschnitten. Gerade dort funktionieren diese Ämter nicht und italienweit werden derzeit knapp drei Prozent der Neuanstellungen über die Arbeitsämter vermittelt. Wer glaubt, er könne da so ganz einfach mit etwas Geld den Schalter umlegen und jemand erhält in Süditalien drei Arbeitsangebote, ist, um es nett zu sagen, einfach nur blauäugig. Es wird genau das passieren, wovor ich mehrfach gewarnt habe: Das Mindesteinkommen wird kassiert und die Betroffenen gehen schwarzarbeiten.
Die neue Regierung möchte auch die Leibrenten für Politiker abschaffen und Renten über 5.000 Euro drastisch kürzen. Kann das gelingen? Es wird wohl auf einen langwierigen Rechtsstreit um erworbene Rechte hinauslaufen. Erste Widerstände machen sich bereits breit.
Auch dieses Vorhaben scheint konkret und ist natürlich populär, denn es richtet sich gegen eine kleine Anzahl von Personen, welche die öffentliche Meinung gegen sich haben. Alle Experten äußern aber Zweifel an der Rechtmäßigkeit, denn wenn jemand eine hohe Rente bezieht, hat er auch hohe Rentenbeiträge einbezahlt. Daher kann ihm diese Leistung nicht einfach aberkannt oder gekürzt werden. Glaubhaft wäre es, wenn die Grillini auch die Babyrenten abschaffen würden, davon spricht aber niemand. Diese haben Italien rund 200 Milliarden Euro gekostet und damit knapp ein Zehntel der gesamten Staatsschulden. Die Politikerrenten sind ein Trinkgeld dagegen. Aber was will man erwarten von einer Partei wie der Lega, die jetzt verurteilt wurde, 49 Millionen Euro an veruntreuten Geldern zurückzuerstatten und den Grillini, die selbst in Rom von einem Korruptionsskandal betroffen sind und es nicht einmal schaffen, die Löcher in den Straßen zu flicken.
Rückgängig gemacht werden soll auch die Fornero-Reform, derzufolge 2011 das Rentenalter um bis zu sechs Jahre angehoben wurde. Kann der Staat es sich finanziell überhaupt leisten, das Renten-Eintrittsalter wieder zu senken?
Diese Pensionsreform wurde gemacht, um Italien vor dem Staatsbankrott zu retten. Das Vorhaben wurde zuletzt ja wieder stark abgeschwächt und eine Vorverlegung des Rentenantritts wäre mit Abschlägen verbunden. Die jährlichen Mehrkosten dafür würden sich auf rund fünf Milliarden Euro belaufen. Aber wie dem auch sei, bezahlen müssten diese Segnungen morgen wieder unsere Kinder; ich habe ein solches Rentensystem ja ganz offen als Betrug an der Jugend bezeichnet.
In der Flüchtlingsfrage hat Innenminister Matteo Salvini die europäischen Staaten in den vergangenen Tagen und Wochen vor sich hergetrieben. Die Lega befindet sich im Aufwind. Nicht nur in Italien, europaweit ist derzeit ein Rechtsruck spürbar. Wurde Italien in dieser Frage von den EU-Partnerländern zu lange allein gelassen?
Die Fehler wurden bereits früher gemacht. Der „arabische Frühling“ war nichts anderes als das Öffnen der Büchse der Pandora. In erster Linie für die betroffenen Länder, wo sich die Dinge zum Schlechteren gewendet haben, und in zweiter Linie für Europa. Gerade Frankreich und Großbritannien haben den Umsturz in Libyen und die Anarchie dort verschuldet. Die unbegrenzte Aufnahme von Wirtschaftsflüchtlingen und die Uneinigkeit der EU-Länder waren die Folge und haben die Rechtsparteien gestärkt. So kann es sicher nicht weitergehen. Übrigens war es der frühere Innenminister Minniti, dem es als erstem gelungen ist, die Boote zu stoppen, und nicht Salvini.
Sind sie nach wie vor der Meinung, dass die neue Regierung die vorangegangenen Reformbemühungen zunichte macht, wenn sie ihre Pläne auch nur ansatzweise umsetzt?
Italien hat in den letzten fünf Jahren Reformen gemacht und ist wieder auf Wachstumskurs gekommen. Die Gegenreformen von Grillini und Lega werden aus meiner Sicht wieder zu einer Verschlechterung der Situation führen und noch ausständige Reformen, wie jene der Justiz, werden gar nicht angegangen. Den Trend dann wieder umzukehren, ist äußerst schwierig.
Ein erster Gradmesser für die neue Regierung wird sein, ob es ihr gelingt, die drohende Mehrwertsteuererhöhung abzuwenden.
Die Absicht besteht, es gibt aber vereinzelt Stimmen, dass eine Erhöhung nicht weiter schlimm wäre. Bereits jetzt wird gerätselt, wie die fehlenden zehn Milliarden Euro für 2019 aufgetrieben werden können. Glaubt man aber den Wortmeldungen einzelner Minister, so scheint es wohl, dass mehr Schulden gemacht werden sollen und mit der EU darüber hart verhandelt wird. In der Flüchtlingsfrage hatten sie ja schon Erfolg.
Zu Südtirol: Wird die SVP nach den Landtagswahlen im Herbst mit der Lega regieren (müssen)?
Ich glaube, die SVP hat Südtirol sehr gut regiert. Sie hat das beste Programm und die besten Kandidaten, daher sollten die Südtiroler in solch schwierigen Zeiten in erster Linie zusammenhalten und die SVP bei den Landtagswahlen mit der absoluten Mehrheit ausstatten. Das ermöglicht es uns Südtirolern immer, aus einer Position der Stärke heraus handeln zu können. Vergessen wir nicht, dass wir in Italien derzeit vor allem als Privilegierte angesehen werden und nicht als sprachliche Minderheit in einem Nationalstaat, die eine Sonderautonomie hat. Wer der italienische Koalitionspartner ist, hängt wohl in erster Linie vom Wahlergebnis ab und davon, welche konkrete Einstellung er zur Autonomie hat.
Eine letzte Frage: Wie lange wird die neue Regierung Ihrer Meinung nach halten?
Meiner Einschätzung nach wird Salvini den Stecker ziehen, wenn die Umfragewerte der Lega bei 40 Prozent liegen und er die Möglichkeit sieht, allein zu regieren.
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